"Was wären wir ohne ein paar Verrückte? Seht, wo uns die Vernünftigen hingebracht haben!" - George B. Shaw

Samstag, 23. Juli 2011

Wie ich Märchen mit McDonalds in Verbindung brachte


Wer von uns Jugendlichen denkt nicht auch einmal an seine alten Kindertage? Die Unbeschwertheit, Freude über die kleinen Dinge, wahre Kameradschaft und nicht zuletzt, die Märchen. Seltsam, dass gerade die meistgeliebten Märchen nicht an erschreckenden Inhalten sparen – es fängt mit Alice im Wunderland von Lewis Carroll an, die beinahe in ihrer eigenen Trauer („Tränensee“) ertrinkt, über Grimms’ Rapunzel, deren Verehrer sich vor lauter Trauer den Turm hinabstürzt – im Weiteren Anders’ Kleine Meerjungfrau, die bei jedem Schritt grausame Qualen erleiden muss, bis hin zu Grimms’ Aschenputtel, deren Stiefschwestern Stücke ihrer Füße abschneiden(„Ruckediguu, Blut ist im Schuh!“), allein um den Königssohn heiraten zu können.
Letzteres erscheint am grausamsten und unwahrscheinlichsten – somit auch märchenhaft. Wer behauptet denn, dass Märchen immer möglichst lasch und kinderfreundlich ausgehen sollen?
Mal abgesehen davon, dass viele Verfilmungen und Bearbeitungen der Märchen „kinderlieber“ ausfallen – Disney beispielsweise ließ die dramatische Bedeutung von Alices Tränensee schrumpfen, Rapunzel verfilmte er erst gar nicht, die Meerjungfrau muss an der Schmerzen Statt ihre Stimme lassen und Aschenputtels Schwestern versuchen sich mit Ach und Krach in den Schuh zu quetschen – ist es immer wieder erstaunlich, wie sehr Kinder auf Märchen anspringen – ob nun im Original oder nicht.
Diese Gedanken hatte ich mir auch schon so einige Male gemacht, als ich ein mehr zum Schmunzeln anregendes als erschreckendes Erlebnis hatte.
Ich streunte an einem Freitagnachmittag zusammen mit meiner Mutter und meinem Bruder durch die Stadt, kaufte mehr oder weniger belangloses Zeug ein und freute mich auf das nahende Wochenende. Die Stadt war für einen Freitagnachmittag untypisch leer und so entschlossen wir, unser Abendessen bei McDonalds einzunehmen, der, so hofften wir, ebenfalls leer sein musste. Nun ja – das Publikum in derartigen Fastfood-Ketten ist nicht immer von der Sorte, die ich „feine, englische Art“ nenne, aber gut – warum eigentlich nicht?
So spazierte ich also hinein ins Getümmel, wenn man es so nennen kann, parkte meinen quengelnden Bruder an einem Tisch und besorgte also diese schrecklichen Papierservietten, die schon beim Ansehen auseinanderfallen, und wartete auf meine Mutter, die sich um die Kalorienbomben kümmerte.
Derweil betrachtete ich die Leute. Der Tisch neben uns war besetzt von zwei lautstark kauenden Gestalten männlicher Art, die jedes weibliche Wesen begutachteten wie ein Stück Fleisch an der Theke. Ich versuchte, ihre Warentheken-Blicke zu ignorieren und konzentrierte mich lieber auf eine Frau, die ihrem dreizähnigen Baby Hamburgerstücke in den Mund schob und auf den Nebentisch, an dem ein Mann in Anzug und Krawatte saß, der Abwesend seinen Kaffee trank, während er angestrengt nachdachte  - möglicherweise darüber, dass er dringend eine neue Kaffeemaschine für seine Abteilung bräuchte oder über einen neuen Aktienkauf – als meine Mutter das vollgeladene Tablett vor mir abstellte. Ich hoffte inständig, einen meiner Freunde anzutreffen damit ich mich wenigstens unterhalten konnte, doch stattdessen schneiten nur zwei relativ herausgeputzte Mädchen um die 18 herein, die sich an den Tisch vor uns setzten.
„Happy meal“, las ich auf dem Menu meines Bruders. „Happy“? Naja. Wie man’s nimmt! Jedenfalls futterte ich „fröhlich“ meinen Salat (der übrigens wirklich lecker und nur zu empfehlen ist!) als mir meine Mutter ins Ohr raunte „Wenn die beiden da vorne nicht auf Männerfang sind, bin ich die Königin von Saba!“
Ich betrachtete die Mädchen also noch eingehender. Die, die direkt mit dem Rücken vor mir saß, trug Jeans und relativ preisgünstig wirkende Pumps, die scheinbar auch schon ihren Dienst getan hatten – ein dickes Pflaster zierte die rechte Ferse.
Oh jaa…wer kennt das nicht? Man will Tanzen gehen und vielleicht sogar seinen Traumprinzen finden, da schleicht sich eine Blase, meist einhergehend mit einem Pickel auf der Nase, in die Pläne und geplatzt ist der Traum.
Meine Gedanken schweiften langsam wieder ab, als ich relativ verdutzt eine Entdeckung machte, die man in einem Fastfood-Restaurant eigentlich nicht erwartet: Unter dem linken Fuß des Mädchens bildete sich eine Blutlache, die auf Tellergröße wuchs.
Ich sah noch zweimal hin, doch es war wirklich so: Blut rann über die Ferse des Mädchens abwärts in den Schuh oder auf den Boden, und sie schien es nicht zu merken! Unwillkürlich schoss es mir durch den Kopf: „Ruckediguu, Blut ist im Schuh! Der Schuh ist zu klein, die rechte Braut sitzt noch daheim!“
Reichlich irritiert machte ich meinen Bruder und meine Mutter auf die Schweinerei aufmerksam – mein Bruder reagierte natürlich ziemlich forsch und unverschämt, als er das Mädchen mit den Worten „Ähm, entschuldige bitte, aber du blutest“ aufmerksam machte. Dieses reagierte völlig ruhig und leicht apathisch, während die Freundin aufsprang, wild durch das Restaurant hüpfte und die Toilette aufsuchte, über deren Zustand ich jetzt lieber nicht sinniere. Ebenso aufgeregt kam sie mit zwei Händen voll Klopapier wieder heraus, wischte das Blut ihrer Freundin weg, während keiner daran dachte, sich auch mal um die Wunde zu kümmern. So ging das einige Minuten weiter, als meine Mutter, ganz ihrer Bestimmung entsprechend, zum Restaurantpersonal lief und um einen Erste-Hilfe-Koffer bat. „Wir haben eine Ärztin!“, kreischte die völlig hysterisch kichernde Freundin durch den halben Laden ihrer immernoch relativ abwesenden Freundin zu.
Nun ja – das, was mit dem Wort „Erste-Hilfe-Koffer“ umschrieben wurde, gestaltete sich als relativ viel Toilettenpapier, zwei Pflastern und Friseusenhandschuhen. Meine Mutter besah sich die Wunde, die sich als Durchtrennung mehrerer Hautschichten herausstellte, und anschließend die Box mit dem Klopapier-Inhalt, als sie dem peinlich hilflosen Personal eröffnete, das Verbandsmaterial sei mehr als mangelhaft, außerdem sei sie nicht im Dienst und somit ohne Arztkoffer unterwegs und müsse jetzt den Krankenwagen rufen.
Endlich kam das vor sich hin blutende Mädchen auf die Idee, den Fuß hochzulegen. Als der Krankenwagen gerufen wurde, guckte sie nur gelangweilt, während ihre Freundin nahe einer Ohnmacht war.
Die restlichen Gäste hatten teilweise ihr nur halb aufgegessenes Menu stehen gelassen und hatten das Restaurant verlassen – zu Recht. Wer betrachtet schon gerne blutende Mädchen, während man isst?
Kurz nach Diagnosestellung verließen auch wir McDonalds und trafen noch direkt daneben einen der zuständigen Manager. Dieser wurde von meiner Mutter auf ziemlich direkte Art und Weise zusammengestaucht, dass ein solcher Betrieb einen gut ausgestatteten Erste-Hilfe-Koffer und nicht nur Klopapier besitzen sollte, dass man die Kette wegen mangelnder Rettungsausstattung vor Gericht ziehen könne und so weiter und so weiter. Nein, was ein Erlebnis!
Nun, ich vermute, das mit der Traumprinz-Suche und Tanzen gehen wurde dann nichts mehr. Ich jedenfalls zog eines der alten Märchenbücher heraus, und schlief über Aschenputtel ein.
Als ich am nächsten Nachmittag mit schmerzenden Füßen von einem Stadtbummel nach Hause kam, spürte ich ein schmerzhaftes, wundes Ziehen über der Ferse. Oh nein…
Doch, was ein Glück „Ruckediguu, kein Blut im Schuh! Der Schuh ist nicht zu klein, die Rechte Braut, die führt er heim!“, und machte mich auf, zu meinem Prinz.

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